Olympische Tradition
Die Wand im Mittelzimmer des Clubs zeigt jedem Mitglied und unseren Gästen, wie lange schon Sportler, die für den Club und den Berliner Ruder-Verein von 1876 an den Start gingen, um olympische Ehren kämpfen. Angefangen 1908 in Henley, mit dem Zweier ohne Stahnke und Düskow, bis Paris im Jahr 2024, waren wir bestrebt, unseren Sportlern einen Start bei den Olympischen Spielen zu ermöglichen. Die Geschichten zu den Namen auf den Tafeln sind, gerade für die Olympiastarts nach dem Zweiten Weltkrieg, häufig erzählt worden. Zu unserem Glück können wir einige dieser Personen, die dort gewürdigt werden, heute noch befragen. An dieser Stelle soll die eher unbekanntere olympische Geschichte des Clubs erzählt werden.
Bekanntlich fanden die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit 1896 im April in Athen statt. Ruderwettbewerbe waren zwar ausgeschrieben, fanden jedoch nicht statt, da die Wasserbedingungen durch starke Winde eine Regatta nicht zuließen. Ruderer waren trotzdem anwesend. Vom Akademischen Ruder-Verein aus Berlin war ein Doppelzweier vor Ort. Dieser wurde trainiert von Wilhelm Rettig, einem Gründungsmitglied des Clubs. Allerdings war er zu diesem Zeitpunkt nicht mehr Mitglied des Clubs; er wurde es erst später wieder. Trotzdem war der Club in Athen vertreten. Richard Gadebusch, 1895 in den Club eingetreten, trat als Turner an. Er war gleichzeitig Mitglied der Turngemeinde in Berlin und sollte in der Mannschaft am Reck und am Barren antreten. Leider verletzte er sich und musste verzichten. Beide Mannschaften holten den Sieg, und Gadebusch siegte zwei Monate später als Bugmann im Club-Achter in Grünau. 1901 wurde er Deutscher Meister im Einer. Vielleicht der körperlich kleinste Meister, den es gab, der in einem extra für ihn angefertigten, kürzeren Boot ruderte.
Im Jahr 1900 folgten die zweiten Spiele in Paris. Der Clubzeitung kann man entnehmen, dass wir auf einen Start an der „Weltausstellungsregatta in Paris“ verzichtet haben. Als Grund wurde ein Mangel an starken Mannschaften angegeben. Die Olympischen Spiele fanden im Rahmen der Weltausstellung statt und müssen sehr chaotisch abgelaufen sein. Mancher Sieger wusste nicht einmal, dass er sich Olympiasieger nennen dürfte. Vom heutigen Stellenwert waren die Spiele sehr weit entfernt. Es gab keine Nationalmannschaften, sondern Vereine entschieden, dort zu starten oder nicht. Wir entschieden uns dagegen, der Germania Ruder-Club Hamburg wurde Olympiasieger im Vierer mit, wobei es in dieser Bootsklasse zwei Sieger und eine Menge Theater gab – doch das mögen die Germanen erzählen. Immerhin war Georg Büxenstein in Paris als Juror für die Bewertung der vorgestellten Druckmaschinen vor Ort. Ebenso der Bankier und Clubmitglied Felix Königs, der dort seine Kunstsammlung erweitern wollte und im Atelier August Rodins eine Plastik erwarb, die er nie in seinem Haus in der nach ihm benannten Königsallee in Berlin bewundern konnte, da er während seines Aufenthalts in Paris im Hotel verstarb.
1904 in St. Louis waren die Ruderwettbewerbe eine amerikanische Meisterschaft, nur ein kanadisches Boot internationalisierte die Regatta.
Über London 1908 schrieb Uwe Graf in den Club-Nachrichten Nr. 670.
1909 traf sich das IOC unter Leitung seines Gründers, Baron de Coubertin, in Berlin zu einer Sitzung. Berlin sollte die Spiele 1912 austragen. Dies kam aufgrund der nicht garantierten Finanzierung des Olympiastadions im Grunewald nicht zustande. So wurde Stockholm mit der Durchführung der Spiele beauftragt, und Berlin wurde für das Jahr 1916 vorgesehen. Dazu kam es bekanntlich nicht, und das Grunewald-Stadion wäre sogar noch rechtzeitig für die Olympischen Spiele 1912 fertig geworden, was 1909 noch nicht absehbar war.
Gruppenbild mit Damen zur IOC Sitzung 1909 in Berlin
Vom 28. Mai bis 1. Juni tagte das Komitee in Berlin, und schon damals wurde ein umfangreiches Rahmenprogramm durchgeführt. Man besuchte den Eispalast, wo während eines Essens zwei Eishockeyspiele ausgetragen wurden. Aufgrund der Eishalle überlegte man, Eiskunstlaufen in das olympische Programm aufzunehmen, da Winterspiele zu diesem Zeitpunkt noch nicht existierten.
Am 29. Mai besichtigte man mit den ausländischen Botschaftern die Kaiserparade auf dem Tempelhofer Feld. Am 30. Mai wurden die IOC-Mitglieder auf einer Yacht von Neubabelsberg an der Pfaueninsel vorbei über den Wannsee zum Berliner Ruder-Club gefahren. Dort wurden sie von einem Orchester der Potsdamer Garnison musikalisch begrüßt. Man besichtigte das zwei Wochen zuvor eröffnete Clubhaus, wurde im großen Saal mit einem kalten Buffet vom Vorsitzenden Dr. Bötzow und Bruno Tummeley begrüßt und nahm anschließend noch Kaffee auf der Terrasse ein. Die meisten Gäste wurden danach mit dem Auto zurück in die Stadt gebracht. In Anwesenheit von P. C. Matthies, Karl Koenigs und weiteren Mitgliedern prüfte Lord Desborough of Taplow selbst die Matratzen im Schlafsaal und erinnerte sich an seine Trainingszeit. Er hatte 1904 in London 300 Teilnehmer der Olympischen Spiele auf sein Schloss eingeladen.
Die Engländer und Amerikaner interessierten sich sehr für die Boote. Einziger Wermutstropfen für den Club war, dass der Militärkapelle verboten war, die „Marseillaise“ zu spielen, weshalb man auf das Abspielen anderer Nationalhymnen verzichtete.
Die Norweger ließen es sich nicht nehmen, am Abend noch an einer Trainingsfahrt teilzunehmen, und Baron de Coubertin, der begeisterter Ruderer war, kam in den nächsten Tagen mit einigen Teilnehmern der Sitzung immer wieder nach Wannsee, um „sich unter unserer Flagge auf mehrstündigen Fahrten auch als geübter Skuller zu betätigen.“
Von diesem Besuch gibt es keine Fotos, auch das Gästebuch des Clubs, in das sich die Gäste eintrugen, ist verloren gegangen. Aber die Club-Nachrichten haben ausführlich darüber berichtet. Das IOC selbst verfügt nur über sehr wenige Unterlagen aus seiner Frühzeit. In dem 2009 erschienenen Heft „Im Dienste der Olympischen Idee – Die Berliner IOC-Session von 1909“ findet der Besuch nur in einem Absatz Erwähnung. Dem Club war dieser Besuch unausgesprochene Aufforderung, Mannschaften vorzubereiten, die an den Olympischen Spielen erfolgreich teilnehmen würden.
Dankschreiben Coubertins an den Club
Auf Nachfrage zu Unterlagen, Berichten, Fotos etc. zum Besuch der IOC-Mitglieder im Club, findet sich im persönlichen Fotoalbum des Barons de Coubertin zumindest ein indirekter Beweis des Besuchs: eine Fotografie von der Wasserseite des Hauses. Diese wurde uns dankenswerterweise vom IOC-Archiv als Kopie zur Verfügung gestellt.
Berliner Ruder-Club 1909 aus dem Fotoalbum de Coubertin
War es 1912 in Stockholm der Verein mit seinem Achter, so begann 1928, nach dem Ausschluss Deutschlands von den Spielen nach dem Ersten Weltkrieg, mit der Teilnahme von Horst Hoek in Amsterdam eine Tradition, die bis heute Ziel der Trainingsanstrengungen ist.
Nicht zu vergessen ist das Ehrenmitglied des Vereins, Carl Diem, der 1912 als Mannschaftsleiter die deutsche Mannschaft ins Olympiastadion führte und als Generalsekretär des „Deutschen Reichsausschusses für Olympische Spiele“ in Verantwortung stand. Selbst wenn 1936 kein erfolgreiches olympisches Jahr für den Club war, so waren wir doch beteiligt. Der Verein war weiter mit Carl Diem als Generalsekretär des Organisationskomitees und der Club mit Arno Breitmeyer als stellvertretendem Reichssportführer in führender Funktion an der Organisation der Spiele in Berlin beteiligt. Dazu war der Club Pate für die britische Rudermannschaft, die unser Haus besuchte. Man fachsimpelte über Boote und die Anstrengungen zur Olympiateilnahme.
Es ist somit nicht übertriebener Ehrgeiz, wenn wir den Anspruch haben, Sportler 2028 nach Los Angeles und zu den darauf folgenden Austragungen zu schicken. Es ist Tradition und Auftrag, dem wir uns spätestens seit dem Besuch des IOC und Baron de Coubertins verpflichtet fühlen.